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07.06.2023

Dieter Scholz

Kommentar zu:
Letzte Generation: "Business Jet am Flughafen Sylt mit Farbe markiert"

Aktion

Cessna 525 in Warnfarbe Cessna 525 in Warnfarbe Cessna 525 in Warnfarbe Die Letzte Generation (LG) hat am Vormittag des 06.06.2023 den Zaun des Flughafengeländes an zwei unterschiedlichen Stellen mit Bolzenschneidern durchtrennt. Anschließend wurde ein Business Jet mit Farbe besprüht. Details zur Aktion verbreitete die Organisation um 11:30 in einer Pressemitteilung (E-Mail). Dokumentiert wurde die Tat auf Twitter durch ein Video, durch diverse Bilder, ein "Erklärvideo" (von Regina), eine Botschaft an den Kanzler und weitere Bilder in der Pressemitteilung (online). Gemäß der Aufnahmen waren an der Aktion am Flugzeug fünf Personen beteiligt, darunter Regina (Bild aus Video) und Miriam (Einladung zu ihrem Vortrag am 12.01.23). Miriam war schon an den Flughafenblockaden der LG beteiligt gewesen. Im Vergleich zur LG-Aktion am 05.05.23 wurde diesmal (inhaltlich nachvollziehbarer) ein Business Jet das Ziel.

 

Flugzeug

Das Flugzeug ein Cessna Citation CJ1+ (Cessna 525) war am Sonntag in 51 Minuten von Düsseldorf nach Sylt geflogen und um 14:25 gelandet. Auf dem Flug wurde eine Flughöhe von 33000 ft erreicht. Die Tage davor war das Flugzeug in Taranto und Cuneo (beide in Italien) gewesen. Das Flugzeug ist in Österreich registriert mit der Kennung OE-FMD. Es gehört der Austin Jet Holding GmbH, Parkring 12, A-1010 Wien. Die OE-FMD wurde 2006 ausgeliefert. Das Model wurde bis 2011 produziert. Gebrauchtflugzeuge kosten um die 2 Millionen USD. Die Flugkosten werden (bei 300 Flugstunden pro Jahr) auf 2800 USD pro Flugstunde geschätzt. Die Charterkosten pro Stunde sind entsprechend eher höher. Den Kraftstoffverbrauch kann man entweder abschätzen über den angegebenen Verbrauch pro Flugstunde (132 US Gallon per hour) und einer angenommenen Fluggeschwindigkeit (748 km/h), oder über den Kraftstoffverbrauch (1137 kg) bei einer angegebenen Flugstrecke (1815 km). Bei 5 Passagieren sind das pro Person auf 100 km 10,5 kg bis 12,5 kg (13 l bis 16 l).

 

Verbrauch und Umweltwirkung im Vergleich

Die Cessna Citation verbraucht also 5-mal bis 6-mal so viel, wie ein modernes Passagierflugzeug. Unterschiede zwischen dem Business Jet und dem Passengerjet gibt es weiterhin beim Sitzladefaktor (passenger load factor, PLF). PLF = besetzte Sitze / verfügbare Sitze. Passagierjets wurden in den letzten Jahrzehnten immer besser ausgenutzt. 2019 wurde im weltweiten Durchschnitt ein PLF von 82% erreicht. Nach der Pandemie wurde jetzt fast der gleiche Wert wieder erreicht. Der PLF von Business Jets ist nicht bekannt, wird aber deutlich niedriger liegen als der von Passagierjets. Angenommen der PLF wäre nur halb so groß, dann würde die Cessna Citation pro Passagier 10-mal so viel verbrauchen wie ein neuer Passagierjet. Diese Schätzung wird bestätigt durch eine Studie von Transport & Environment die ermittelt: "private jets are on average 10 times more carbon intensive than commercial flights".

Bei einem Vergleich zum bodengebundenen Verkehr muss beachtet werden, dass die Umweltwirkung hinsichtlich der Erderwärmung bei Business Jets und Passagierjets durch die Flughöhe etwa dreimal so hoch ist. Der absolute Verbrauch und CO2-Ausstoß ist bei schnellen Verkehrsmitteln zudem hoch, weil in kurzer Zeit weite Strecken zurückgelegt werden können.

Die CO2-Masse ergibt sich aus der Kraftstoffmasse mit dem Faktor 3,15. Die Masse der äquivalenten CO2 ergibt sich aus der CO2-Masse mit dem Faktor drei. So kommt die Cessna Citation CJ1+ auf rund 100 kg äquivalente CO2 (10,5 kg . 3,15 . 3) pro Sitz auf 100 km.

Siehe auch: Environmental Footprint of Private and Business Jets.

 

Erwiderung zur Stellungnahme der GBAA

Die German Business Aviation Association e.V. (GBAA) hat auf den Vorfall reagiert und dazu am 08.06.2023 gezielt ein Schreiben verteilt. Aktuell wurde aber keine Pressemitteilung herausgegeben. Dieser Artikel scheint den Text der GBAA fast wörtlich widerzugeben.

GBAA Geschäftsführer Andreas Mundsinger fordert danach "eine sachliche Diskussion". "Als Vertreter der Geschäftsluftfahrt begrüßen wir jede zukunftsorientierte und konstruktive Diskussion über die Reduzierung von CO2-Emisionen". Mundsinger weiter: "Das Gros dieser [Business Jet] Flüge dient unseren weltweit vernetzten Unternehmen, um schnell reagieren zu können, um Liefer- und Produktionsketten zu stabilisieren und Serviceverträge einhalten zu können." Das ist fraglich. Die Flughistorie der OE-FMD ist seit dem 09.06.2023 bei FlightRadar24 nicht mehr einsehbar. Transparenz wird damit nicht geschaffen. Sollen die Flüge der OE-FMD zu Urlaubzielen (wie nach Sylt oder an die italienische Küste) versteckt werden? Eine Befragung (während der Pandemie) ergab, dass weniger als 1/3 der Flüge mit Business Jets aus beruflichen Gründen stattfindet (siehe Details in den Quellenangaben, unten).

Mundsinger gibt zu, dass Betreiber SAF nur "in sehr geringen Mengen" einsetzen. Laut GBAA weiter: "Hersteller von Geschäftsflugzeugen [sind] Innovationstreiber". Die "Geschäftsluftfahrt [sei] ein direkter Innovations- und Technologie-Inkubator für die breitere Luftfahrtindustrie, einschließlich der kommerziellen Luftfahrt". "Technologien [werden] entwickelt, die in der Regel auf die kommerzielle Luftfahrt übertragen werden und oft drastische Leistungsverbesserungen und Treibstoff- und damit Emissions-Einsparungen ermöglichen." Mundsinger behautpet, Business Jets "haben als erste Winglets, Glascockpits, leichtere Verbundwerkstoffe, verbesserte Antriebssysteme und aerodynamischere Strukturen in ihre Produkte eingebaut". Diese Aussagen sind nicht belegt und vermutlich falsch. Fest steht: Der spezifische Kraftstoffverbrauch (Specific Fuel Consumption, SFC) der Strahltriebwerke von Business Jets ist im Durchschnitt rund 30 % höher als der von Passagierjets (eigene Rechnung). Das liegt am geringen Nebenstromverhältnis (Bypass Ratio, BPR) und der geringeren Größe der Triebwerke an Business Jets. Beim geringen BPR wird bei weitem nicht das ausgenutzt, was heute technischer Standard ist. Ein Glascockpit liefert eine andere Form der Anzeige und spart dadurch direkt nichts. Teils wurden als aerodynamische Flügelprofile über Jahrzehnte die alten Profile aus den 60er Jahren weiter genutzt, obwohl bei den Passagierjets schon lange neue verbrauchsärmere Profile zum Standard gehörten. Das liegt einfach daran, dass die Geschäftsfliegerei dem kommerziellen Druck weniger ausgesetzt ist als die kommerzielle Luftfahrt, die mit einer geringen prozentualen Gewinnspanne existieren muss. Ein Business Jet wird eben oft auch einfach nach dem Aussehen und der Höchstgeschwindigkeit gekauft. Mundsinger wird zitiert mit: "General Aviation stehe heute für 90 % des globalen Luftverkehrs, der am weltweiten CO2-Ausstoß 2 % betrage." Er erklärt: Zur General Aviation (Allgemeinen Luftfahrt) "... zählen neben dem Businessverkehr auch die Sportfliegerei, Schul- und Trainingsflüge sowie Ambulanz- und Regierungsflüge". Die statistische Aussage hat mit "sachlicher Diskussion" wenig zu tun: 1.) Kritisiert werden von den Aktivisten die Business Jets und nicht die Allgemeine Luftfahrt / General Aviation allgemein. 2.) Vermutlich beziehen sich die "90 %" auf die Anzahl der Starts. Da zählen die Starts der Segelflugvereine dann auch mit dazu. 3.) Warum werden die CO2 der Allgemeinen Luftfahrt dem weltweiten CO2-Ausstoß gegenübergestellt (inklusive Industrie, Heizen, dem gesamten Verkehrssektor, ...)?

Mundsinger: "Im Privatflieger sitzen nicht nur Millionäre". Ja, das ist eine logisch richtige Aussage. Es gibt sicher eine Person, die weniger als eine Millionen (EUR oder USD) besitzt und schon einmal im Business Jet gesessen hat (z. B. am Boden während eine Luftfahrtausstellung). Solche Aussagen helfen nicht weiter. Bitte "eine sachliche Diskussion"! Wer durch das WWW surft bekommt solche Berichte zu sehen. Die ganze Diskussion um die Millionäre und die Business Jets verläuft bisher vergleichsweise unsachlich. Fakt ist: 2021 gab es in Deutschland rund 2,7 Millionen Vermögensmillionäre (Vermögen in USD). Ein Vermögensmillionär zu sein, ist also nicht wirklich etwas Besonderes. Es trifft immerhin auf über 3 % der deutschen Bevölkerung zu. Anders sieht es aus bei Einkommensmillionären. Im Jahr 2018 hatten "nur" knapp 26300 aller erfassten Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen Einkünfte von mindestens einer Million EUR. Ein Vermögensmillionär wird sich einen Business Jet nicht leisten können, denn die hier diskutierte Cessna Citation CJ1+ kostet 837000 USD pro Jahr (bei 300 Flugstunden im Jahr). Das Vermögen des Vermögensmillionärs wäre damit im zweiten Jahr bereits aufgebraucht. Auch der Einkommensmillionär ist wohl noch zu "arm", um sich allein eine Cessna Citation CJ1+ leisten zu können. Viele Deutsche könnten sich durchaus einmal einen kurzen Flug im Business Jet leisten, haben aber vermutlich noch andere Ideen, wie sie ihr Geld so ausgeben können, so dass der Spaß etwas länger anhält.

 

Gesetze

Betreten verboten Die LG behauptet, dass ihre Aktionen gewaltfrei sind. Gewaltfreiheit bezieht sich auf Personen, nicht auf Sachen. In Interviews wird aber auch der "friedliche" Protest betont. Eine Demonstration ... ist friedlich, wenn sie keine Beeinträchtigung "erhebliche[r] Rechtsgüter Dritter ... mit sich bringt". Ein Rechtsgut bezogen auf eine Sache lautet: "Der Eigentümer einer Sache kann ... andere von jeder Einwirkung ausschließen" (§ 903 BGB). Eine Farbaktion ist eine starke Einwirkung gegen das Flugzeug. Hausfriedensbruch (§ 124 StGB) insbesondere am Flugplatz (§ 46 LuftVZO) und Sachbeschädigung (§ 303 StGB) sind sicher nicht geeignet, um Frieden zu wahren. Wie überzeugend ist es, dem Kanzler seine Rechtsverletzungen (Art. 20a GG) vorzuwerfen, wenn selbst Rechtsverletzungen begangen werden? Ob die LG sich auf "Rechtfertigender Notstand" (§ 34 StGB) berufen kann ist umstritten. Es hängt vom Einzelfall ab. "Wenn man sich auf der Straße festklebt, geht ja erst mal nichts kaputt", sagt Michael Hassemer, Richter am Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz auf SWR. Gerade das ist aber hier beim Business Jet anders. Der Schaden geht vermutlich in die Millionen! Die Mitglieder der LG sind bereit, in Selbstaufopferung "alle staatlichen Konsequenzen in Kauf zu nehmen". Das wird aber den großen verursachten Schaden nicht begleichen können. Die Geschädigten selbst werden also den Schaden tragen müssen. Falls Versicherungen für den Schaden aufkommen, so werden die Beiträge steigen, sollte diese Protestform Routine werden.

 

Dumm oder bösartig?

Entweder dumm oder bösartig, in jedem Fall unverhältnismäßig hinsichtlich der politischen Signalwirkung ist es, wenn die Triebwerksabdeckung entfernt wird (vergleiche oben die Bilder zunächst von der linken Seite und dann von vorn), um in das Triebwerk hinein zu sprühen, was dort einen großen, unnötigen Schaden anrichtet. Nach mündlicher Aussage lässt sich die Farbe nicht einfach entfernen. Eine einfach wasserlösliche Farbe hätte die gleiche politische Signalwirkung gehabt, aber weniger Schaden angerichtet. Auch der Einsatz von Sekundenkleber auf der aerodynamisch sensiblen Flügeloberfläche verursacht nicht mehr als nur unerheblichen Schaden. Wie bei der Aktion am 05.05.23 am BER sollte sich die LG sowohl in rechtlichen Fragen als auch hinsichtlich der Luftfahrt besser beraten lassen oder selbst umsichtiger recherchieren.

 

Quellen

Hier die Quellen und weitere Links.

Diese Memo erreicht man mit https://purl.org/aero/M2023-06-07.